Ich habe mir vorgenommen, in diesem Blog mehr oder weniger systematisch vorzugehen und zuerst die Lebensbereiche anzusprechen, von denen ich glaube, dass sie den größten Beitrag zur Nachhaltigkeit leisten. Es mag deshalb ein bisschen seltsam scheinen, dass es gleich zu Beginn um Urlaub geht. Kommt es auf die ein, zwei Wochen im Jahr wirklich an? Ja, denn Tourismus macht mittlerweile 8% der globalen Treibhausgasemissionen aus und ist einer der am schnellsten wachsenden Sektoren (https://www.nature.com/articles/s41558-018-0141-x). Dazu kommen noch illegal ins Meer entsorgter Müll von Kreuzfahrtschiffen, Küsten, an denen sich ein Hotelkomplex an den nächsten reiht, etc., etc. Man kann ihn also nicht einfach ignorieren.
Ich könnte es mir jetzt einfach machen und davon erzählen, dass zu den Urlauben, die mir als am eindrucksvollsten in Erinnerung sind, eine Radreise nach Grado gehören, sowie der Versuch einer Hüttentour in den Kalkalpen und ein Jahr, in dem ich überhaupt zuhause geblieben bin und als Teil der Viennale-Publikumsjury im Kino „geurlaubt“ habe. Dass ich seit zehn Jahren in kein Flugzeug gestiegen bin und trotzdem zwischen Oslo im Norden, Kiew im Osten, Neapel im Süden und Lannion (Bretagne) im Westen unterwegs war. Davon, dass die Tage, die ich in Bussen und Zügen verbringe zu den entspannendsten meines Lebens gehören, weil ich dann endlich einmal nicht das Gefühl habe, irgendetwas tun zu müssen, außer aus dem Fenster zu schauen, ein Buch zu lesen oder einen Film zu schauen und ein paar Kekse zu knabbern. Das alles entspricht voll und ganz der Wahrheit und genau deshalb habe ich es auch gerade erzählt.
Aber es ist eben nur die halbe Wahrheit. Der Erholungsfaktor in Bus und Zug sinkt rasch ab, wenn man versucht, eine Art mobiles Home office zu betreiben (und in jedem Tunnel Strom und/oder Internet ausfallen). Vermutlich wird es ähnlich sein, wenn man über 10 Stunden hinweg bemüht ist, ein Kleinkind bei Laune zu halten. Nachhaltig zu reisen kann anstrengend sein und erfordert jedenfalls einiges an Planung. Dafür fehlt im Alltag oft die Zeit oder schlicht die „Hirnkapazität“ und vor Ort wollen wir uns schon gar nicht damit beschäftigen, denn schließlich haben wir uns ein paar Tage Abstand und Entspannung mehr als verdient. Nachhaltigkeit im Urlaub beginnt deshalb schon mit der Frage, ob es wirklich notwendig ist, dass der Alltag so stressig ist. Dazu gab es im Standard vor kurzem einen interessanten Artikel (https://www.derstandard.at/story/2000107472638/eine-neun-stunden-arbeitswoche-koennte-dem-klima-helfen).
Ein weiterer Teil der Wahrheit ist, dass sich auch die Rundreisen durch Kanada und Neuseeland auf der Liste meiner eindrucksvollsten Urlaubserlebnisse finden. Ich bin überzeugt, dass es hilft, die Welt und ihre Bewohner besser zu verstehen, je mehr man von ihr gesehen hat. So schön der Urlaub auf dem Biobauernhof sein kann, wer jedes Jahr auf dem Bauernhof urlaubt, erlebt eben nur, was man auf dem Bauernhof erleben kann. In einer zunehmend globalisierten Welt erstrecken sich Familien und Freundschaften außerdem immer öfter über mehrere Kontinente bzw. haben wir jedenfalls mehr Möglichkeiten, solche Distanzen zu überbrücken. Und das ist ja eigentlich etwas Gutes. Genauso, wie die Tatsache, dass diese Möglichkeiten dank billigerer Flugreisen immer mehr Menschen offen stehen. Und Tourismus verursacht auch nicht nur Zerstörung, sondern ist in vielen Regionen eine wichtige Einkommensquelle, die die Lebensgrundlage zahlreicher Menschen sichert.
Es geht also denke ich, nicht darum, überhaupt nicht mehr zu verreisen. Die Frage ist vielmehr, wie oft wir das tun. Drei Urlaubsreisen im Jahr sind in meinem Umfeld keine Seltenheit und die automatische Frage, wenn jemand in meinem Institut auf Urlaub geht ist immer: „Wo geht’s denn hin?“ Reisen ist eine schöne Art, den eigenen Horizont zu erweitern, aber es ist nicht die einzige Art. Vermutlich lernt, wer Filme aus verschiedenen Regionen sieht, Romane liest, etc. sogar mehr, als wer überall nur für einen kurzen Fotostop verweilt. Meinem Gefühl nach würde ich sagen, dass sich Leute auf längeren Reisen tendenziell nachhaltiger verhalten, mehr zur Wertschöpfung in der Region beitragen und auch der Erholungswert größer ist, als auf kurzen Wochenendtrips.
Ich gebe aber auch zu, dass das der Bereich ist, wo mir selbst Nachhaltigkeit oft am schwersten fällt.
Praktische Tipps:
Anreise:
- Derzeit ist es, denke ich, nicht möglich, ökologisch zu fliegen. An verbesserter Treibstoffeffizienz und alternativen Antriebsformen wird zwar geforscht, es ist aber schwer zu sagen, ob und wann es dabei einen Durchbruch geben wird. CO2-Kompensationszahlungen machen Flüge meiner Meinung nach auch nicht wirklich nachhaltiger. Gegen Spenden an Klimaschutzprojekte ist zwar prinzipiell nichts einzuwenden, sofern sie soziale und ökologische Aspekte ganzheitlich betrachten. Das Gold-Standard Zertifikat ist ein guter Indikator dafür, ich vertraue auch dem BOKU CO2 Kompensationssystem (https://boku.ac.at/wissenschaftliche-initiativen/zentrum-fuer-globalen-wandel-nachhaltigkeit/themen/nachhaltigkeit/boku-co2-kompensationssystem/) sehr. Aber:
- Solange CO2-Kompensationen auf Freiwilligkeit basieren, müssen Preise so gestaltet sein, dass eine nennenswerte Anzahl an Menschen bereit sind, sie durchzuführen. Das ist tendenziell zu niedrig.
- Wenn wir die globale Erwärmung tatsächlich auf 1.5-2°C begrenzen wollen, müssen wir unseren CO2-Ausstoß sehr schnell und sehr stark reduzieren. Eine Kompensation ist aber keine Reduktion, sondern lediglich eine Verlagerung von Emissionen.
- Die Frage, ob es ökologischer ist mit der Bahn oder dem Fernbus anzureisen, ist komplex. Zwar ist der CO2-Ausstoß im Bus geringer, dafür gibt es zusätzlich Emissionen von Feinstaub, Stickoxiden und Reifenabrieb. Außerdem hängt der Vergleich stark vom jeweiligen Besetzungsgrad und, im Falle des Zugs, dem Strommix ab. Um preislich mit Flugreisen mithalten zu können empfiehlt es sich erstens, rechtzeitig vorauszuplanen um Spar-Angebote nutzen zu können und zweitens immer auch die Bahnseiten der Ziel- und Durchzugsländer zu checken, da man so auch deren Spar-Angebote nutzen kann.
Unterkunft
- Camping und Schlafsäle in Jugendherbergen sind wahrscheinlich die ökologischsten Formen zu reisen, aber wahrscheinlich nicht immer und überall jedermanns Sache (meine übrigens auch nicht).
- Für Hotels existiert eine Vielzahl verschiedenster mehr oder weniger seriöser Zertifikate, kleinen Hotels und privaten Unterkünften, die sehr nachhaltig sein können, ist der Aufwand für eine Zertifizierung zudem oft zu hoch. Folgende Plattform versucht zumindest, einen Überblick zu geben: https://www.bookdifferent.com/en/
- Couchsurfing ist natürlich ebenfalls eine sehr nachhaltige Form zu reisen und auch gegen Airbnb und ähnliche Angebote ist meiner Meinung nach nichts einzuwenden, solange man darauf achtet, dass tatsächlich nur ungenützte Räume vermietet werden und nicht ganze Apartments dem Wohnungsmarkt entzogen werden und Tourismusabgaben eingehoben werden.
- Außerdem sollte man schon bei der Wahl der Unterkunft die Lage beachten und so wählen, dass man vor Ort möglichst viel zu Fuß erreichen kann.